Die Monatsschrift „PoIis“ hat ihrem März-Heft eine Zeichnung von Fidus: „Ave Maria“ beigelegt, die unsere längst feststehende Ansicht bestätigt, daß dieser Zeichner, sobald er statt der kleinen nackten Kinderfigürchen, die ihm so wohl gelingen, sich aufs allegorische Pathos einläßt, auf bedauerliche Abwege gerät. Das Bild mag in der Erfindung stilisierter Linien gewisse rein künstlerische Vorzüge haben, die von den Zunftgenossen des Zeichners technisch gewürdigt werden; aber der Gesamteindruck, den dieses nackte ekstatische Weib und der hinter ihr stehende, sie unterm Kinn fassende Gottvater machen, ist ein abstoßender, widerwärtiger.
Der textliche Inhalt auch dieses vierten Heftes ist Weltverbesserung. Der Redakteur (Dr. Johannes Widmer) erhebt gegen die Gymnasialkultur, gegen die Pflege der alten Sprachen seine Stimme; Einführung polygamischer Verhältnisse befürwortet einer, der sich „August der Starke“ nennt (im Zirkus hat der August gewöhnlich ein anderes Epitheton). Den ethischen Gehalt des Streiks erklärt uns Max Tobler. Rudolf Willy gibt einen Dialog zwischen Nietzsche und Stirner, Nietzsche als Engel Gabriel, Stirner als Samiel. Während die beiden geistreich diskutieren, brennt das Nietzschearchiv in Weimar ab, was Nietzsche mit großer Genugtuung bemerkt. Die Nummer 4 hat auch einige kleine satirische Artikel. Aber die Witze sind etwas zu umständlich präpariert. Die Absicht, Sarkasmen in gefälliger Form vorzubringen, ist überall durchzuspüren, nur sind wir Schweizer halt keine Florentiner und unser Scherz wird, wie die Grazie in Haydns „Ochsenmenuett“, leicht massiv, wozu ich soeben den Beleg liefere.
Der Bund (Bern), 58. Jahrg., 7./8. März 1907, Nr. 112, S. 2. Online