Christlich-kommunistische Sekte in der Schweiz

Christlich-kommunistische Sekte in der Schweiz

Eine christlich-kommunistische Sekte hat sich in Amden (Kanton St. Gallen) angesiedelt. Gründer der Kolonie ist ein Herr Klein, der schon vor zwei Jahren ein großes Gut Grappenhof in Amden käuflich Erwarb und sich dort häuslich niederließ. Familien und einzelne Männer und Frauen kamen hinzu, verschiedene Mitglieder der Kolonie stammen aus Amerika. Die Kolonie bildet eine Kommune im Sinne der ersten Christen. Neueintretende müssen auf ihren Besitz zu Gunsten der Gesellschaft verzichten, treten aber in alle Rechte der Gesellschaft ein. Die Fortführung des Berufs ist dem einzelnen freigestellt. Zur Zeit wird die Villa Arbenz in Weesen für Künstler eingerichtet. Einer soll für den anderen leben; man will ein „Christentum der Tat“. gibt deshalb, ein entschiedener Vorzug der neuen Gemeinde, keine Schriften heraus und hält auch keine Predigten. Ueber die religiösen Anschauungen der Leute verlautet: Gott ist in der Natur überall, auch im Menschen, denn Natur uud Mensch sind aus derselben Materie. Der Mensch kann nichts aus sich selbst und es geschieht auch absolut nichts, das Gott nicht zuläßt, darum die Entbehrlichkeit des Gebets. Alles, was Gott schickt, dient zu unserem Besten. Warum die neuen Christen trozu dieser Anschauungen Marien- uttd Heiligenkult pflegen und eine Marienkapelle bauen wollen, darüber verlautet noch nichts. Sie wollen sich katholische, das heßit allgemeine Kirche nennen, drängen sich niemandem auf, verzichten auf Reklame und nehmen an, daß ihre Jünger durch göttliche Eingebung kommen. Von Christus sagen sie, er wäe ein menschliches Wesen gewesen, und zwar das einzige, das sich ausschließlich durch Gottes Willen habe leiten lassen. Alles, was lebt, auch die Millionen Luftgeister und die Toten, warten auf einen neuen Christus. Die Amdener Brüder behaupten, er würde im Jahre 1904 zu Ostern kommen und in Amden sein Reich aufrichten. Er werde Frieden bringen, die Welt werde dann ihre Waffen ablegen und die Mächtigen der Erde würden kommen, um bei Christus-Amden Rat zu suchen. Die Schweiz habe sich die neue Gemeinde darum erkoren, weil sie im Herzen Europas liege und als Staatsform die·Republik habe: darum müsse sie auch die Quelle des neuen Heils werden. Von anderer Seite hörte man einmal, Hauptzweck der eigenartigen Kolonie wäre, kranken Menschen die Gesundheit wiederzugeben. Allem Anschein nach hat man es mit einer Abart von nordamerikanischen Sekten zu tun.

Arbeiter-Zeitung (Wien), 15. Jahrg., 1. September 1903, Nr. 239, S. 5. Online