Der „Prophet“ Josua Klein

Der „Prophet“ Josua Klein

Nach etwa vierzehntätigen Aufenthalte in Wien hat der „Prophet“ Josua Klein vor zwei Tagen die Rückreise nach Amden in der Schweiz in seine dortige Kolonie angetreten. Wie er einigen seiner Wiener Freunde mitteilte, ist es ihm gelungen, auch hier eine Persönlichkeit zu gewinnen, die sich auch bereit erklärt, sein Werk zu fördern. Und da sich auch in Frankreich nach den Angaben Kleins ein Komitee zur Förderung seiner Pläne gebildet hat, so hegt der „Prophet“ bessere Hoffnung für die Verwirklichung seiner Zukunftspläne. Josua Klein wurde nämlich in der letzten Zeit von argen Sorgen bedrückt. Die Kolonie in Amden die er begründet hat, liegt sehr im Argen und das Kapital von einer 1/2 Million Mark, das ein Gönner dem Experimente Kleins gewidmet hat, ist aufgezehrt. Die paar kleinen Bauernhöfe und Häuschen im Umdeii, in welchen die Amhänger des „Propheten“ nach dessen Prinzipien ganz individuell, nach ihren angeborenen Anlagen leben und sich fortbringen sollten, sind allmählich leer geworden. Das Geld war bald weg und da der Prophet seinen Anhängern keines mehr geben konnte, erklärten sich diese außerstande, „individuell, nach ihrem Willen zu leben“, und aus den Paulussen wurden wieder Saulusse; sie kehrten allmählich der Kolonie den Rücken. So konmt es, daß Josua Klein, wenn er in seine Kolonie zurückkommen wird, nur wenige Anhänger mehr vorfinden wird. Uebrigens hat, wie Klein in Wien selbst betonte, seine geschäftliche Reise Erfolg gehabt und er hofft, daß ihm von dem erwähnten französischen Komitee, dem sich auch der Wiener Mäzen  anschließen soll, eine Summe von weiteren 500.000 Mark zur Verfügung gestellt werden wird. Sollte sich diese Hoffnung erfüllen dann mag der Prophet die Abtrünnungen ruhig laufen lassen, dann wird seine Lehre zweifellos wieder für eine Zeit ihre Werbekraft bewähren. Josua Klein ist gegenwärtig 33 Jahre alt. Er stammt aus Meran und wurde dort als der Sohn eines Arztes geboren, der allgemein als Sonderling galt.  Einer der Brüder des „Propheten“ lebt als Schriftsteller in Berlin. Josua Klein verriet schon in seiner Jugend einen fast krankhaften Hang zur Träumerei. Er verfügt über eine nur mangelhafte Bildung und so ward er bald das Opfer seiner schwärmerischen Phantasie, die jede Betätigung ruhig erwägender Vernunft zurückdrängte. Er predigte, der Mensche erreiche nur dann die höchste Stufe der Menschlichkeit, wenn er sich ganz nach seiner Anlage und nach seinem Willen auslebe. Dann sprach er von der „Weltseele“, die allen Naturerscheinungen zugrunde liege, und ähnlichen Begriffen, die bei ihm bald zu einer Art fixen Idee wurden. Trotzdem fand er Leute, die sich für eine praktische Ausführung seiner Idee interessierten. Er gründete die Kolonie in Amden, die auf kollektivistischer Grundlage gedacht ist. Jeder soll darin arbeiten, wozu er Lust und Anlage hat. Erzielt er mit seinen Erzeugnissen eine größere Einnahme als die zu seinem Haushalte erforderliche so muß er den Ueberschuß dem Propheten für seine Mitglieder der Kolonie abtreten, die weniger verdienen. Der Mißerfolg seiner Grundung hat aber den „Propheten“, der seine Familie in eine verwandtschaftliche Beziehung zur napoleonischen bringt und auch von einem Papste erzählt, der aus seiner Familie hervorgegangen, durchaus nicht abgeschreckt, das Experiment nun noch ein zweitesmal zu machen.

Voralberger Tagblatt, 19. Jahrg., 21. Dezember 1904, Nr. 5663, S. 3. Online