Ein Prophet in Wien
Man meldet aus Wien: Das hat uns in Wien noch gefehlt, daß wir zu den politischen und gesellschaftlichen Heroen, an denen wir zweifellos an Ueberfluß leiden, auch noch einen Propheten bekommen, einen religiösen, mystischen, hypnotischen, okkultistischen Heros, der die Leute vollends verrückt machen könnte. Aberglauben gibt’s hier ohnehin mehr als nöthig. Das Lottobrünndl in Sievering, in der unmittelbarsten Umgebung der Stadt, ist ein beliebter Wallfahrtsort, wo an gewissen Tagen Zehntausende von Menschen sich zusammenfinden, um „aus der Quelle Wellenschlag“ die Nummern abzulesen, die bei der nächsten Ziehung herauskommen werden. Auch wenn ein Mord geschieht, der Todesfall einer hervorragenden Persönlichkeit eintritt, eine große Feuersbrunst ausbricht oder sonst irgend ein Unglück passirt – immer finden sich viele, sehr viele Tausende von Menschen in Wien, die nach dem Lebens-alter und den sonstigen Verhältnissen des auf gute oder böse Art Verschiedenen, oder nach der Hausnummer und den Stockwerken der abgebrannten Realität Zahlencombinationen anstellen und ihr gutes Geld in die kleine Lotterie tragen. In den lezten Jahren, da von gewisser Seite der Kampf gegen die Aerzte als eine Art von politisch-socialem Sport betrieben wurde, ist auch das „Kräutelweib“ stark im Ansehen gestiegen, zumal es sozusagen von local-officieler Seite und an parlamentarischer Stätte die Weihe der Autorität erhielt. „Naturheilverfahren“ ist also ein Wort, das hier in manchen Schichten einen guten Klang hat, und wenn jetzt Jemand hierher kommt, der sich als Heilkünstler ausgibt und die „Kräfte des Universums“ zu beherrschen, sie in den Dienst einzelner Kranken zu stellen und die Gewalt über diese Kräfte Anderen Übertragen zu können vorgibt, so findet er einen nicht ganz ungedüngten Boden für solche Heilslehre hier vor. Josua Klein, der Wundermann, hat also nicht ohne Vorbedacht seine Schritte nach Wien gelenkt. Er ist eigentlich ein schon verkrachter Prophet. In Obermai bei Meran geboren, hat er sich seine theosophischen und okkultistischen Theoreme, aber auch seine agitatorische Geschicklichkeit in Amerika angeeignet und insbesondere dort auch die Kunst erlernt, Diejenigen sich dienstbar zu machen, die auf dieser welt nicht „alle“ werden: die – sagen wir – leichtgläubigen Männer und die hysterischen Frauenzimmer. Ein Leipziger Insasse, Freiherr v. Hoffmann, stellte dem Propheten das gewiß hübsche Sümmchen von 400.000 Mark zur Verfügung, damit er eine „Kolonie“ in Amden bei St. Gallen gründe. Das hat Klein auch gethan, das Geld aber aufgebracht, natürlich für „Kolonialzwecke“, ohne daß das Ziel, das große Ziel, das ihm vorschwebt, erreicht wurde, nämlich den Mittelpunkt zu schaffen, von dem aus die neue Lehre des neuen Propheten Josua in alle Windrichtungen sich verbreiten könnte. Die Niederlassung verkrachte und der Prophet hatte mancherlei Unannehmlichkeiten mit den Ansiedlern zu bestehen, insbesondere mit dem Maler Höpfner [sic!] (unter dem Pseudonym „Fixus“ [sic!] bekannt), der die neue Heilslehre und ihre Kinder umso nachdrüklicher angriff, je mehr er früher ein Apostel des Propheten gewesen war. Klein kam jetzt nach Wien, um sich die Mittel zur Fortführung seines Unternehmens zu beschaffen. Er dürfte sie aber kaum finden. Zwar in privaten Zirkeln hat er für seine Sache schon Propaganda zu machen verstanden und an manchen Abenden war es ihm gegönnt, Männlein und Weiblein durch seine Predigten und namentlich durch seine Anweisungen auf die „Kräfte des Universums“, die jedoch bis allher an zuständiger Stelle nicht honorirt wurden, in Extase zu versetzen. Allein es scheint dennoch, daß er mit leeren Händen, beziehungsweise Taschen von hier wird abziehen müsse [sic!]. Seine Agitation ist, trotz des Okkultismus, nicht geheim geblieben und die Polizei verfügt zwar nicht über die „Kräfte des Universums*, wohl aber über einige handfeste Detektivs, mit denen der Prophet demnächst unliebsame Bekanntschaft machen dürfte.
Slavonische Presse, 20. Jahrg., 11. Dezember 1904, Nr. 283, S. 7. Online