Toggenburg

Bereits im Sommer 1903 war Fidus nach [[Amden]] gekommen, um sich ein Bild vor Ort machen zu können. Die Reise schildert er rückblickend in seinen Kleinen Lebenserinnerungen als eine Wallfahrt, zuerst mit Bahn und Schiff und dann zu Fuss über Berg und Tal in eine imposante Bergwelt, als abenteuerlichen Aufstieg zur Sonne und damit zum Licht.

Um zu dieser “heiligen Stätte auch wirklich zu pilgern” und um die Schweiz “allmählich” zu erleben, fuhr ich nur bis Lindau mit der Bahn und mit nächstem Dampfer nach dem Schweizerischen Rorschach hinüber. Nun begann die hoffnungsberauschte Wanderung in die immer höher ansteigenden Berge hinein. Wieder ließ ich die einzige Stadt, St. Gallen links liegen; ich sah sie nur von Weitem schimmern, und übernachtete später in einem einsamen Bauern-Gasthäuschen. In für mich seltenen Morgenfrühe jubelte ich weiter ins Bergland hinein, gerade der Sonne entgegen. Aber auch den dort höchsten Berg, den Säntis, ließ ich seitlich, seine Würdigung oder gar Besteigung hätte doch nur in Ungeduld geschehen können und in Unruhe, in Amden nicht wie erwartet einzutreffen. Gegen Abend schaute ich ins große Toggenburger Tal hinunter, das hinten durch die schräg ansteigenden “7 Kurfürsten” abgeschlossen war. Dahinter lockte der geheimnisvolle Walensee in der Tiefe. Ich habe diesen Blick und seine Stimmung in einer Ölskizze festgehalten und bewahrt. In Toggenburg unten übernachtete ich wieder, und in zweiter Morgenfrühe brach ich für Amden auf! Der Aufstieg führte über den Pass der “Amdener Höhe”. An der steilsten Stelle verfolgte mich eine Kuhherde, aber sie tat mir nichts. Als ich beim Abstieg zum See hinunter blinkte, sah ich ihn wie eine blaugrüne Wanne in lauter Terrassenbergen eingesenkt, nur nach Weesen hin, zum freieren längeren Zürichsee sich öffnend. Schon dieser Anblick gab mir die Gewißheit, daß uns hier ein “Montsalvat” beschieden sei.

Wobei ein ironischer Unterton wohl durchaus beabsichtigt ist, bezeichnet Fidus seine Wanderung doch als “hoffnungsberauscht”, wie auch der Monsalvat (Fidus verwendet die falsche Schreibweise Montsalvat) in Richard Wagners Oper Lohengrin einen Sehnsuchtsort bezeichnet, der nur in der Kunst existiert und damit letztlich unerreichbar ist. Der mythisch-entwückte Ort erweist sich denn auch schnell als Trugbild, denn die scheinbar urtümliche und unberührte Natur ist nicht weniger industrialisiert als die Grossstadt Berlin, die er hinter sich gelassen hat. Was Fidus allerdings auch ein Gefühl der Vertrautheit, Sicherheit und der Fortschrittlichkeit gegeben haben mag. Er fährt fort:

Und wenn ich niedersteigend an eine Bachbrücke kam, die nicht bäuerlich aus Holz u. Leisten bestand, sondern aus Eisen, dann glaubte ich darin schon “die Klaue des Löwen”, des “deutschen Amerikaners” und Kulturbringers zu sehen! Na, dies war nun ein frommer Irrtum! Die Schweiz war ja stark “industrialisiert” und elektrisches Licht hatte jedes Dorf, wie in Norwegen, eben wegen der billigen Wasserkräfte.